Nadeln für unsere Scheren-Zeit

Zwietracht und Streit allerorten, besonders in den Medien. Wie nur kommt Liebe und Harmonie wieder in unsere Welt?

Daniel Schaup

2/4/20251 min read

Homer schreibt in seiner Ilias über „die rastlos lechzende Eris“, die „erst klein von Gestalt einherschleicht“, sich aber dann von dem von ihr verstreuten Zank und Streit ernährt, um zu wachsen. Ja, die Göttin Eris geht nicht mehr als eingeschrumpeltes altes Weib durch unsere Welt, die Göttin der Zwietracht wandelt wohlgenährt von der allgemeinen Zwietracht riesenhaft umher. Ob aus den Fernsehnachrichten oder den Sozialen Medien überall werden wir überschüttet mit Zuspitzung und Spaltung, mit Angst und Häme.

Ich höre die Riesin lachen, wenn aus den Bildschirmen, großen und kleinen, Hass und Niedertracht verströmt wird. Dann erinnere ich mich aber an den Sufi-Weisen Farid, zu dem einstmals ein König kam, und ihm eine goldene, mit Diamanten besetzte Schere schenkte. Farid betrachtete die Schere und sagte dann zum König: „Herr, ich danke dir für dein Geschenk. Ich weiß, es ist kostbar, aber ich kann es nicht brauchen. Viel schöner wäre es, du gäbest mir eine einfache Nadel.“

Der König erwiderte: „Das verstehe ich nicht. Nadeln sind nicht wertvoll. Und wenn du eine Nadel brauchst, dann brauchst du auch eine Schere.“

Darauf Farid: „Scheren schneiden die Dinge entzwei. Eine Nadel aber näht sie zusammen. Ich lehre Liebe. Und Liebe will zusammenfügen, nicht entzweischneiden!“

Der König verstand, nahm die Schere wieder mit und ließ Farid eine goldene Nadel senden.

Ja, in unserer Scheren-Zeit haben wir sehr viele Nadeln nötig, um Eris auf Diät zu setzen. Doch bevor wir uns den Nadeln widmen, gilt es, die Kanäle der Eris trockenzulegen; schalten wir die Bildschirme ab und die Scheren werden stumpf.